Geliebte Bertenau!

Ich kann sie nicht richtig fassen, sie ist so unwirklich.
So unwirklich wie die Überraschung, dass wenn man „in" ihr ist, dass sie dem Wanderer am gleichen Platz, das eine mal Wege finden lässt und dann wieder nicht. Dass sie einen im Kreis führen kann und das andere Mal uns hindurch schiebt, mit einer Schnelligkeit, die einem erst zu Hause ganz bewusst wird, wenn der Regen schon eingesetzt hat, dem wir unweigerlich ausgesetzt gewesen wären. Immer so wie wir es als Gruppe an diesem einen Tag brauchen.

Sie kann einsichtig sein, in Geberlaune sein. Überschwänglich erlebe ich sie dann. Sie breitet an so einem besonderen Tag ihre feinsten Geheimnisse vor uns aus. Im nächsten Moment kann sie aber dann trotzdem schon wieder abweisend sein, hält die Arme verschränkt und lässt uns laufen. Besonders wenn man kämpfen will lässt sie einem im Kreis oder ins Leere laufen. Immer dann wenn man zu sehr will. Bin ich aber beim ersten Schritt „in ihr angekommen" so zeigt sie mir ihren Reichtum und aber auch ihren Schmerz. Plätze mit Blumen, ein Meer von Blüten, Schleichwege, Trampelpfade der Tiere. Aber eben auch die dunklen düsteren Ecken, unwirtlich und kaputtgemacht von uns Menschen. Mono-Kultur(elle) Plätze.

Und gleich daneben wieder diese zarten, unscheinbaren, heilen „alte Plätze" mit wunderbarer sanfter Energie. Manchmal oder sehr oft laufen wir achtlos daran vorbei weil sie sich so unscheinbar geben. Sie drängen sich nicht auf. 
Natür-lich eben.
Zwillingsbäume die zum sitzen einladen, moosverhangene Wichtelhaustüren; Spielplätze und Schlafplätze der Tierkinderstuben, fremdeartige Gewächse...

...versteckte Blicke in die Außenwelt, in die Welt über dem Graben, wo die Autos dahinflitzen, der Traktor Furchen in die Erde zieht und wo die Sonne im Sommer flirrend über den tischebenen Feldern der Donauebene steht

In ihr ist es dann kühl, frisch und ruhig. Sie verschlingt die lauten, harten Töne unserer hektischen Welt ring- um uns her. Sie gleicht aus, sie beruhigt, aber sie macht auch unruhig wenn wir trotzallem zu sehr eilen wollen.

Und manches Mal da nimmt sie mich an der Hand wenn ich traurig bin, Schmerz fühle im Innern, Frieden leidvoll vermisse, ausruhen will. Dann ist jeder neue Schritt, jeder neue Blick ein Geschenk und eine Offenbahrung (zwischen uns beiden).

Probieren sie es aus aber melden sie ihren Besuch vorher an, es lohnt sich.

Die Bertenau, ein kleines Waldstück in der Nähe Binswangens, mitten im Donautal. Auf der Wanderkarte ist sie als der tiefste Punkt der gesamten Umgebung vermerkt. Ich denke sie ist das Gegenstück von „Berg sein". Gefühlsmäßig war sie früher vielleicht ein Sumpf. Auch im Sommer gibt es jetzt noch Stellen die nicht begehbar sind weil sie nass und undurchdringlich wirken. Unnahbar, mit einem „Achtung"-Zeichen versehen. Im verschneiten Winter wird ihr geheimnißvoller Zauber noch deutlicher. Wenn die Menschenwege durch den hohen Schnee unsichtbar werden, dann ist sie ganz in ihrem Element. Dann liebt sie uns besonders, weil wir ohne ein gehörige Portion Gottvertrauen sie gar nicht betreten könnten, wir wären ihr hilflos ausgeliefert.

Wer aber einmal erleben durfte wie sie ihre zartesten Plätze enthüllt und uns sehen lässt. Ein kleines Stück verwilderte Natur ohne Schutzvorhang zeigt, wo die Waldelfen und Schutzgeister der Walderde ihre Behausungen sichtbar machen, dann kann man nur immer wieder aufs Neue grenzenloses Vertrauen in ihre Führung haben.

Und auch jetzt, nachdem ich ihre Wege werde nie mehr so gehen werde können, weil ich dieses Leben in einem Rollstuhl sitzend weiterführen werde, selbst jetzt erfasst mich totale Liebe zu ihr, die mich so vieles gelehrt hat.

Ich möchte keinen Umweg und keinen Irrweg missen den ich in ihr gehen durfte.

Danke!

 
 
 
 
 
 
 

> IMPRESSUM